Gutsanlagentagung 2019 der Europäischen Akademie in Waren: ein reiches, sinnliches Programm
Mecklenburg-Vorpommern ist – unvermutet – ein Burgenland. Etwa 650 Rittersitze überzogen einst im Mittelalter das Gebiet zwischen der Elbe im Westen und der Oder im Osten. Sie waren die Vorläufer der Herrenhäuser und Schlösser, die im 17./18. Jh. mit der Ausdehnung der Gutswirtschaft und des Großgrundbesitzes in großer Zahl entstanden. Die adligen, später auch die bürgerlichen Eigentümer ließen – teils auf den Grundmauern der Turmhügelburgen – ihre Herrensitze mit zahlreichen Wirtschaftsgebäuden errichten. Allein in Mecklenburg und Vorpommern gab es rund 3000 Gutshöfe und -häuser, von denen Ende des 20. Jahrhunderts noch 2192 existierten – in welchem Zustand auch immer. Die Gutsanlagen sind ein Alleinstellungsmerkmal Mecklenburgs und Vorpommerns, das die Europäische Akademie Mecklenburg-Vorpommern in Waren gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft Gutsanlagenjährlich in einem
dreitägigen Seminar mit Fachexkursion beobachtet.
Im Fokus der Gutsanlagentagung 2019 stand – nachdrücklich befördert durch das Europäische Kulturerbejahr – die Architektur der Herrenhäuser und Schlösser. Die Referenten, der Historiker und Publizist Dr. Wolf Karge und der Architekt Ludger Sunder-Plassmann, erläuterten an zahlreichen, sehr guten Beispielen die verschiedenen Bau- und Architekturstile, an denen sich geniale Baumeister orientierten und deren Pläne viele namenlose Bauhandwerker verwirklichten. Ihre Ausführungen ermöglichten es den rund 90 Seminarteilnehmern das Einzelne in der großen Vielfalt zu erkennen, sodass sie bei Architekturreisen durch Mecklenburg-Vorpommern zwischen den Adelssitzen im Stile etwa des (Fachwerk-)Barocks, des Klassizismus oder der Tudorgotik sowie den verschiedenen Spielarten des Historismus zu unterscheiden wissen und in der steingefassten Formensprache erkennen, ob es sich um einen Bau von Carl Theodor Severin oder Johann Joachim Busch, von Georg Daniel oder Friedrich Hitzig, von Ludwig Möckel oder Paul Korff, von Friedrich August Stüler, Georg Adolf Demmler u.a. handelt.
Im 19. Jahrhundert bescherte der Historismus nicht nur vielfältige Rückgriffe auf frühere Phasen der Architekturgeschichte, sondern auch spürbare Einflüsse aus anderen Ländern, vor allem aus Frankreich. Sie werden deutlich am Residenzschloss Schwerin, dem „Neuschwanstein des Nordens“, das von vier bedeutenden Architekten in der Mitte des 19. Jahrhunderts aus- und umgebaut wurde. Dr. Bettina Gräfin de Cosnac, bekannte Fernsehautorin, Journalistin und Schriftstellerin aus Paris wies in einem vergleichenden, ästhetisch sehr ansprechenden Vortrag nach, dass für den Um- und Ausbau Mitte des 19. Jahrhunderts mehrere französische Renaissanceschlösser als Vorbild dienten, vor allem aber das Königsschloss Chambord an der Loire. Der Titel ihres Vortrags war Programm – Schloss Chambord und Schloss Schwerin: Schöne Verwandte – Une belle famille –, das sie zur vollen Zufriedenheit der Zuhörer realisierte.
Am zweiten Seminartag berichteten die neuen Eigentümer von Hohenlandin (Tudorgotik), Saatel (Klassizismus), Üselitz (Renaissance) und Broock (Castle Gothic) wie sie die von ihnen als Ruine erworbene Immobilie stilgerecht herrichten. In mitreißenden Beiträgen erzählten sie über ihre Traumverwirklichung unter den strengen
Augen des Denkmalschutzes (Saatel), ihren aufopferungsvollen Kampf mit Behörden und Handwerkern (Hohenlandin), dem neuen Glanz als „Weißer Schwan“ (Üselitz) und den Wandel zu einem neuen Kultur- und Entspannungszentrum und Tourismusmagneten (Broock).
Eine Fachexkursion am dritten Tag, ausgezeichnet vorbereitetet und geleitet vom ehemaligen Akademieleiter Andreas Handy, schloss die „theoretische“ Baustilkunde mit Führungen ab. Sie untermauerte an Ort und Stelle „auferstandener“ Herrenhäuser Kummerow (Barock), Alt Sührkow (Klassizismus), Lelkendorf (Tudorgotik) und Belitz (Jugendstil), was es bedeutet, durch die Sanierung eines Gutshauses eine neue Dorfmitte zu schaffen. Mit großer Sachkenntnis – und einem Anflug von Stolz – präsentierten die neuen „Schlossherren“ bzw. ihre Verwalter Baugeschichte und gegenwärtige Nutzung ihrer Häuser.
Andere Themen waren die Kleidermode des Gesindes im Herrenhaus und auf dem Gutshof sowie die Kunst „alternativen“ Heilens auf den Rittergütern, die Sandra Lembke, Dozentin und Autorin, gut und zugespitzt ausführte. Thematisiert wurden ebenfalls die Aufsiedlung von Rittergütern Ende des 19. Jh. bis Beginn des Zweiten Weltkrieges (Dr. Angelika Halama, historische Geografin aus Buxtehude) sowie im Zuge der Bodenreform nach dem Zweiten Weltkrieg (Archivar und Historiker Prof. Dr. Siegfried Kuntsche).Als einzigartig wurde das Herrenhaus Ziesendorf in seiner Nutzung als „Kinderschloss“ sprich Kindertagesstätte von der Leiterin Marit Reckengagiert dargestellt und die Idee hochgelobt.
Geschichte ist völlig ungeeignet als Mittel zur Gestaltung von Politik – auch auf der Landesebene. Aber als Impulsgeber kann sie die politischen Entscheidungsträger zum Nachdenken über die Wahrung des historischen Erbes „Gutsstandorte“ anregen. Dass die Politiker der im Landtag vertretenen Parteien – von einer Ausnahme abgesehen – nicht bereit waren, sich im Rahmen einer Podiumsdiskussion am ersten Veranstaltungstag den kritischen Fragen zu stellen, ist ein Signal für viel mehr als nur ein mangelndes Problembewusstsein.
©Dr. Günter Kosche, Historiker, freier Mitabeiter der Europäischen Akademie in Mecklenburg-Vorpommern
Le séminaire des « châteaux, manoirs et maisons de maître dans le Mecklembourg-Poméranie-Occidentale » à l’Académie Européenne de Waren : un programme riche et sensuel en 2019
Fait surprenant, le Mecklembourg-Poméranie-Occidentale est au moyen-âge un pays de forteresses, s’ étendant de l’Elbe à l’ouest jusqu’à l’Oder à l’est. Au 17e/ 18èmesiècle de nombreux grands propriétaires terriens s’y installent, érigeant sur des anciennes ruines des magnifiques châteaux et demeures. Il ne subsiste plus que 2192 des 3000 demeures à la fin du 20èmesiècle, sans parler de leur état. L’Académie Européenne de Waren organise ensemble avec l’association « Gutsanlagen » chaque année un séminaire sur les « Châteaux, manoirs et maisons de maître dans le Mecklembour et la Pomméranie-Occidentale ». Influencée par l’année culturelle européenne, l’architecture était au centre du programme en 2019. L’historien et journaliste Ralf Karge (PhD) ainsi que l’architecte Ludger Sunder-Plassmann illustraient bien la richesse des styles allant du baroque, du classicisme à l’art nouveau. Cette diversité fût créée par des architectes célèbres tels C.T. Severin, Busch, Georg Daniel, F. A. Stüler ou G. A. Demmler. L’exécution de leurs plans revenait à des illustres inconnus. Au 19èmesiècle, l’historisme s’orientait à des anciens styles et empruntait à l’étranger, dont la France, des idées. Pour le château de Schwerin la Renaissance de la Loire, et surtout l’exemple de Chambord, servait de modèle aux remaniements du château au 19èmesiècle, comme
démontrait Bettina de Cosnac (PhD), journaliste -tv et écrivaine célèbre, dans une conférence comparative et très esthétique.
La 2èmejournée était consacrée à des des exemples concrets de reprises de ces maisons par des propriétaires comme Hohenlandin (gothique tudor), Kummerow (baroque) ou Üselitz (Renaissance). Ils relataient leur expérience de restauration difficile (notamment avec les administrations à Saatel) et leur conversion en point d’attrait touristique (Broock). Le troisème jour, des visites d’ autres manoirs permettaient d’ appliquer la théorie. – D’autres sujets du séminaire étaient les méthodes de guérisons alternatives (Sandra Lembke, conférencière et auteure), la mode vestimentaire des employés et des maîtres de maison ainsi que le difficile démantèlement des immenses propriétaires de la fin du 19èmesiècle jusqu’à la 2èmeguerre mondiale, sujet traité par la géographe Angelika Halama (PhD) et l’archiviste Siegfried Kuntsche (PhD).
Selon l’historien et organisateur du séminaire Günter Kosche, l’histoire est totalement inadaptée pour faire de la politique. Mais elle peut donner des impulsions aux décideurs politiques quant à la sauvegarde de l’héritage historique (historical heritage, historisches Erbe) de ces demeures dans le Land Mecklenburg-Vorpommern. Exceptée une élue, aucun des hommes politiques ne s’était déplacé pour répondre aux questions critiques. Un signal, donc, qui va au-delà d’une simple méconnaissance du problème.
Günter Kosche (PhD), historien, Académie Européenne à Waren, Mecklembourg-Poméranie-Occidentale (Traduction et résumé © MoNo)