Via Regia und Handwerk
Es ist bekannt, dass in Europa schon in der Steinzeit Handel betrieben wurde. Die Römer brachten dann die Straßen in das westliche und südliche Europa. Ab dem 13.Jahrhundert wurde der Handel von West nach Ost und umgekehrt ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, der zu Wohlstand und Reichtum in ganz Europa führte. Die Via Regia, auch Hohe oder Königsstraße genannt, führte in Richtung Osten ausgehend von Santiago de Compostella über Bordeaux, Paris, Saarbrücken, Köln, Koblenz, Bingen, Frankfurt/M., Mainz, Eisenach, Erfurt, Leipzig nach Görlitz und weiter über Breslau (Wroclaw), Krakau (Krakow), Lemberg (Lwow) bis nach Kiew. Städte und Ortschaften reihen sich wie Perlen einer Kette im Abstand einer Tagesreise an diesem Weg auf. Hier erfolgte nicht nur ein Austausch und Handel von Waren im wirtschaftlichen Sinn, auch der kulturelle und technologische Austausch stand in voller Blüte. Die Dombauhüttenwanderungen von der Romanik bis zur Gotik zu den Kirchenbauten, die Entstehung und Entwicklung der Zünfte und deren Traditionen in den folgenden Jahrhunderten sind nicht zuletzt diesen alten Handelswegen geschuldet, auch wenn viele Straßen im Laufe der Zeit ihre Bedeutung einbüßten. Verlauf und Einfluss dieser Verbindungswege sind jedoch noch immer nachvollziehbar.
Heutzutage haben Straßen ihre verbindende Bedeutung immer mehr verloren und sind zu reinen Transitstrecken „verkommen“. Der Interessent an diesen alten Verbindungen muss den Weg abseits der neugestalteten Strecken suchen, um in die kulturellen Strukturen und Eigenheiten der jeweiligen Region einzudringen. Mit zunehmender Entfernung verlieren sich Zusammenhänge und das Wissen über andere Gegenden. Schon in der frühen Geschichte des Handwerks war dieser Effekt bekannt und Zünfte verpflichteten die Gesellen nach ihrer Freisprechung auf Wanderschaft, Walz, Tippelei oder Gesellenwanderung zu gehen. Leider verlor dieser Brauch mit der Industrialisierung und der daraus resultierenden Liberalisierung der Wirtschaft seine Bedeutung. Anfang des 20. Jahrhunderts erlebte die Wanderschaft noch einmal einen Höhepunkt, um dann in der Zeit des Nationalsozialismus, durch Verbot, ganz zu verschwinden.
Seit den 1950 Jahren gewinnt diese Form der Wissensvermittlung wieder an Bedeutung. Junge Gesellen wandern durch die Regionen Deutschlands, verdingen sich für Unterkunft und Verpflegung und lernen so die spezifischen Eigenheiten der Region, in der sie sich aufhalten, kennen. Ortsübliche Handwerkstechniken werden erlernt und wie in alten Zeiten durch Wanderschaft in andere Regionen transferiert. Mit der Ausbildung zum Meister endet aber in den meisten Fällen die komplexe berufliche Weiterbildung des Handwerkers. Spezialkenntnisse im Bereich alter Handwerkstechniken werden durch industriell gefertigte Arbeitsmaterialien überflüssig gemacht und somit das alte Wissen verdrängt und in Folge vergessen. Selbstständige sind eingespannt in den Mechanismus Betrieb, der dem Meister kaum noch die Möglichkeit zur Weiterentwicklung gibt. Doch Gleichförmigkeit erhöht den Konkurrenzdruck der Firmen untereinander. Das Erlernen alter Techniken kann hier dem Unternehmen die Chance zur Entwicklung eines weiteren Standbeines geben. Mit dem Fortbildungszentrum für Handwerk und Denkmalpflege-Rittergut Trebsen, nahe Leipzig, (FHDRT) und dem Görlitzer Fortbildungszentrum für Handwerk und Denkmalpflege (GFBZ) findet man in Deutschland zwei Ausbildungszentren für alte Handwerkstechnicken an der Via Regia. Hier werden Meister und Gesellen zum geprüften Restaurator bzw. zum Geprüften Fachhandwerker in den Gewerken Maurer, Maler- und Lackierer, Steinmetz und -bildhauer, Stuckateur, Zimmerer und Tischler ausgebildet. Kurz zum handwerklichen Fachmann in der Denkmalpflege an geschichtsträchtigen Orten. Von der Dokumentation bis zur Ausführung: der Umgang mit dem Denkmal oder dem historischen Möbelstück bleibt komplex und erfordert Fachkenntnis.
Andreas Vogel, Referatsleiter des Görlitzer Fortbildungszentrum für Handwerk und Denkmalpflege e.V.